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Filmkritik
Auf der filmischen Zeitachse kann eine Hochzeit keinen ungünstigeren Punkt erwischen. Steht eine Eheschließung direkt am Anfang eines Films, so lässt sich zielsicher vorhersagen, dass das Brautpaar kaum Aussichten auf eine dauerhafte glückliche Zweisamkeit haben wird. So ist es auch in Abderrahmane Sissakos „Black Tea“, der damit beginnt, dass eine Hochzeitsgesellschaft im afrikanischen Staat Côte d’Ivoire zusammenkommt, um der Heirat von Aya und Toussaint beizuwohnen. Doch die Stimmung ist nicht freudig und gelöst, sondern ziemlich angespannt, und so fällt statt des Jaworts ein Neinwort. Die Braut erklärt vor den versammelten Gästen, dass sie keine Ehe auf Basis von nur vorgetäuschter Liebe eingehen wolle, und macht sich im nächsten Moment davon. Zielstrebig sucht sie im Brautkleid das Weite, um ihr wahres Glück zu finden, dass viele Tausende Kilometer entfernt liegt.
„Black Tea“ setzt also mit einer Flucht aus Afrika ein, doch ist es nicht die oft auch im Kino dominante Bewegung gen Norden nach Europa, und Ayas Weg ist nicht von Illusionen, Grenzerfahrungen und Lebensgefahr geprägt. Bei Sissako bedarf es nur einer kleinen Überblendung, um Aya Kontinente und eine unbestimmte Zeitspanne überspringen und wohlbehalten in der chinesischen Millionenstadt Guangzhou wiederauftauchen zu lassen. Dort haben sich seit Ende der 1990er-Jahre Einwanderer aus vielen afrikanischen Ländern zu Tausenden in einem Viertel niedergelassen, das den Spitznamen „Chocolate City“ erhalten hat, und Anschluss an die chinesische Bevölkerung gesucht.
Eine kleine Utopie des Miteinanders unterschiedlicher Kulturen
In der Realität erlebten die Migranten dort zwar auch Phasen der Drangsalierung durch chinesische Behörden, insbesondere während der Corona-Pandemie, sodass die Zahl der Afrikaner in Guangzhou über die Jahre stark schwankte. Doch Sissako ist wie schon bei seinem vorherigen Film „Timbuktu“ (2014) nicht auf eine realistische Stadt-Abbildung aus. Sein „Chocolate City“ ist als eine ideale Gemeinschaft gezeichnet, in der ein freundschaftliches Miteinander von Chinesen und Afrikastämmigen gepflegt wird und man neugierig, verständnisvoll und offen für die Kultur der anderen aufeinander zugeht. Was unverhohlen utopisch wirkt, sich dem Œuvre des optimistischen Kosmopoliten Sissako aber schlüssig anschließt.
Die Geschäfte sind daher auch keine unpersönlichen Verkaufsstätten, sondern Orte, um zusammenzukommen und sich auszutauschen. Der Frisiersalon lädt zum Entspannen und Verwöhnenlassen ein, sodass die Figuren in „Black Tea“ ihn so oft wie möglich aufsuchen; im Bekleidungsgeschäft werden geduldig die ausgefallenen Wünsche der Kunden notiert und im Laden für Reisegepäck bemüht sich die junge Verkäuferin, die Preisschilder möglichst einladend zu drapieren. All das sind Anlaufstellen auch für Aya, doch das Zentrum ihres neuen Lebens hat sie im Teegeschäft von Cai Wang gefunden. Das Interesse der jungen Ivorerin gilt nicht allein den Geschmacksrichtungen und feinen Abstimmungen des Getränks, sondern vor allem den diffizilen Geheimnissen traditioneller Teezeremonien.
Der Ladenbesitzer nimmt seine neue Angestellte auch bereitwillig unter seine Fittiche: Im Keller-Lagerraum des Geschäfts unterweist er sie in intimen Nachtsitzungen in der Kunst, Teekannen, Schüsseln und so weiter zu handhaben, und fördert ihren Instinkt für Tee-Zubereitung. Eine ehrfürchtige Atmosphäre umhüllt diese Ebene in „Black Tea“, befördert durch die Sorgfalt der Bewegungen und die sanfte Berührung, die Aya ihrem Chef gestattet, um ihre Hände beim Einüben der hochpräzisen Gesten zu führen.
Aufmerksam und warmherzig
Die Konzentration dieser Einweisungsszenen bestimmt den Rhythmus des ganzen Films. Aufmerksam und warmherzig beobachtet die Kamera von Aymerick Pilarski, wie sich zwischen dem verschlossenen Lehrer und seiner Schülerin ein immer größeres Verständnis entwickelt und sie über ihre geteilte Leidenschaft auch jenseits des Tees vertrauter miteinander werden. Dabei füllt Abderrahmane Sissako eine weitgehende Leerstelle im Kino. Das zelebriert zwar in Heerscharen von Filmen das Kochen von Essen, entwickelt aber kaum je mit vergleichbarer Passion Szenarios um hochwertige Getränke – und wenn, kreisen diese am ehesten noch um die Feinabstufungen von Weinen oder anderen Alkoholika.
„Black Tea“ jedoch vertieft sich in die kleinen Details der Tee-Zubereitung und den Genuss, der sich für die Eingeweihten bereits im zeitlichen Aufwand bei der Erstellung des Getränks einstellt. „Bei uns sagt man nicht ‚Tee trinken‘, sondern ‚Tee probieren‘“, erklärt Cai einmal, und diese Haltung zur zurückhaltenden Geschwindigkeit beim Konsum übernimmt auch der Film. So stellen sich die Fortschritte langsam und nur nach und nach ein, „Black Tea“ tastet sich gewissermaßen ebenso vorsichtig voran wie seine Hauptfiguren.
Vom Glück eines kooperativen Miteinanders
Eben daraus baut der Film aber auch eine hohe Spannung auf. Die konsequente Zartheit, mit der Sissako das Zusammenleben in „Chocolate City“ beschreibt, umfasst neben der übersichtlichen Handlung auch die Dialoge zwischen den Charakteren. Denn diese tragen durchaus seelischen Ballast mit sich herum, den sie nur allmählich preisgeben. Viele haben wie Aya über die Umstände ihrer Migration nicht die Wahrheit gesagt, insbesondere aber den Teehändler quält eine unverheilte Wunde seiner Vergangenheit. Je mehr Aya heimisch in dem Viertel wird, umso mehr verlagert sich die Handlung auf Cai, der schließlich zu einer gegenläufigen Reise zur anfänglichen Fluchtbewegung des Films aufbricht: Zurück nach Afrika, wo er Jahre zuvor mit seiner Frau ein Restaurant führte und ein unabgeschlossenes Kapitel auf seinen Abschluss wartet.
Bei alldem behauptet der Regisseur keine wundersame Entwicklung im Mikrokosmos von „Black Tea“. Zwar eint der Wille, einander zu verstehen und zu unterstützen, die kleine Gemeinschaft, doch das Drehbuch von Sissako und Kessen Tall zeigt auch die Anstrengung, die hinter jedem gelungenen zwischenmenschlichen Kontakt steckt, sowie die Brüche, die sich immer wieder ergeben. In einer Rückblende fährt Cai einmal seine Frau wütend wegen einer Unachtsamkeit an, die seine Behauptung, die Afrikaner um sie herum würden ja nichts verstehen, gekränkt kontert: Natürlich würden diese begreifen, dass er sie anschreie. Es ist einer der wenigen lauten Töne in einem Film, der diese Fragilität des Zusammenhalts umso schmerzhafter vermittelt. Wenn er hingegen vom Glück eines kooperativen Miteinanders erzählt, tut er dies leise, aber umso nachdrücklicher. Das offene Bekenntnis zum gelebten Humanismus hat etwas Bezwingendes.