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Filmkritik
Auf einem weißen Blatt Papier nimmt mit nur wenigen Strichen das Gesicht einer Frau Kontur an. Der Maler, ganz in seine Arbeit vertieft, weist sein Modell auf ungelenke Weise an, sich zu entkleiden: „Ihre Brüste bitte.“ Sie versteht erst nicht, und als sie versteht, protestiert sie. Vehement. Entkleidet sich zögerlich. Er grabscht an ihre Brust, fällt tapsig über sie her. Sie gibt ihm eine schallende Ohrfeige. Und ist dann ihrerseits leidenschaftlich entflammt.
Das Bild, das an diesem Tag im Jahr 1893 nach ihr entsteht, wird nicht singulär bleiben. Über einen Zeitraum von vier Jahrzehnten steht, sitzt und liegt Marthe de Méligny, wie sie sich in Erfindung einer aristokratischen Vergangenheit nennt, für ihren Partner, den Spätimpressionisten Pierre Bonnard, Modell, oft in häuslichen Interieurs und in meist intimen Situationen: beim Ankleiden, Baden, Frisieren. In der Kunstgeschichtsschreibung hat sich das Bild einer schwierigen und neurotischen Frau manifestiert, gar einer „Kerkermeisterin“ des Malers. Erst in den letzten Jahren wurde die Rolle von Marthe de Méligny neu bewertet.
Gleichberechtigt Raum für beide
Der französische Regisseur Martin Provost, auf Künstlerbiografien („Séraphine“) spezialisiert, ist von Anfang an bemüht, die strukturell asymmetrische Beziehung zwischen Maler und Modell zu egalisieren. Er gibt beiden Persönlichkeiten gleichberechtigt Raum – und betont diesen auch visuell, wenn sie in einer der ersten Einstellungen nebeneinander in der Rückenansicht zu sehen sind. Auch der Originaltitel legt einen deutlichen Akzent: „Bonnard, Pierre et Marthe“. Dass der deutsche Verleih zwei eigenständige Persönlichkeiten nun unter dem Familiennamen subsummiert hat, folgt einer Marketinglogik. Adressiert ist ein Publikum, das an klassischen Künstlerbiopics in schönen Landschaften Gefallen findet.
Ganz verkehrt ist der Titel „Die Bonnards“ allerdings nicht. Denn Pierre und Marthe begegnen einem im Film als mit Leib und Seele aufeinander bezogenes Paar, weniger als Einzelwesen. Für die künstlerische Zusammenarbeit, die das Malen nach Modell darstellt und für die damit verbundene Blickdynamik interessiert sich Provost weniger, auch wenn er Bonnard immer wieder als einen voyeuristischen Typen zeigt, der sich mit Skizzenblock in der Hand an die schlafende oder badende Marthe heranschleicht. „Die Bonnards“ ist durch und durch ein Beziehungsfilm. Die Kunst ist zwar unaufhörlich präsent und wird auch mit handwerklicher Sorgfalt behandelt, fungiert aber vorwiegend als Verbindungsstück zwischen Maler und Modell.
In die Natur und die Zweisamkeit
Pierre Bonnard will Marthe ganz für sich, sie zieht bei ihm ein, ihre Arbeit bei einem Seidenblumenhersteller gibt sie auf. Die Künstlerkreise, in denen er verkehrt – mit Maurice Denis, Paul Sérusier und Édouard Vuillard gründet er die Gruppe „Les Nabis“ – meidet sie. Die Pianistin Misia, schillernder Star der Pariser Bohème, verkörpert ihr Gegen- und Angstbild: ungestüm, freiheitsliebend, an keinen Mann gebunden. Marthe dagegen, die an schwerem Asthma leidet, zieht es in die Natur und in die Zweisamkeit. Meist lebt das Paar in der abgeschieden gelegenen Villa Le Bosquet an der Côte d’Azur. Sie besorgt den Haushalt und steht Modell, er malt und schenkt ihr eine Badewanne. Ihren Kinderwunsch erfüllt er nicht. Sie existiere überhaupt nur durch den Blick Bonnards, wirft ihr Misia einmal an den Kopf. Und dass sie ihren Geliebten mit ihrer neurotischen Hüstelei an sich binde.
Solch scharfen Töne sind im Film Ausreißer, die Konfliktlinien lodern auf Sparflamme, „Die Bonnards“ zeigt über weite Strecken ein harmonisches Zusammenleben. Das Paar rennt nackt durch den Garten und liebt sich. Gelegentlich kommen Künstlerfreunde wie Claude Monet und seine Frau Alice mit Picknickkörben vorbei. Den Frauenheld Bonnard zeigt Provost als defensiven, mitunter fast etwas kleinlauten Mann, Vincent Macaigne spielt ihn sympathisch und zugewandt – und ohne den neurotischen Überschuss, der seinen Rollen oft eigen ist. Motor dieser etwas behäbigen, in elegante Bilder gekleideten Beziehungsgeschichte ist die von Cécile de France überaus energetisch verkörperte Marthe. Nur dass diese Kraft allein Bonnard gilt. Ansonsten weiß der Film mit ihrer Vitalität, die phasenweise von ihrer labilen Gesundheit ausgebremst wird, nichts anzufangen.
Ein Leben zu dritt als Bedrohung
Nach einem Zeitsprung ins Jahr 1914 ballen sich die dramatischen Ereignisse umso mehr. Bonnard flüchtet nun immer öfter nach Paris, seine frustrierte Geliebte fasst er nicht mehr an, auch wenn sie nach wie vor auf Bildern zu sehen ist. Die Affäre mit dem Modell Renée Monchaty, einer jungen Kunststudentin, stellt für die Beziehung eine ernsthafte Bedrohung dar. Ein Leben zu dritt, paradiesisch für Bonnard, scheitert an den Exklusivitätsansprüchen der Frauen. Während der Maler mit Renée nach Rom fährt, die Kunst der alten Meister studiert und die Hochzeit vorbereitet, greift Marthe wie im Fieber zu Stift, Pinsel und Farbe. Der kreative Schub kommt unvorbereitet, nichts deutet darauf hin – „Das Entlein malt jetzt“, bemerkt Bonnard.
In seiner Einschätzung der Künstlerin Marthe de Méligny wirkt der Film unentschieden, ganz ernst scheint er sie nicht zu nehmen, ihre Malerei ist vor allem Kompensation und bleibt eine Episode – beendet durch den Selbstmord der verlassenen Renée. In den letzten Lebensjahren des Paares gleicht die Villa Le Bosquet einem Geisterhaus. Marthe ist bereits in andere Sphären abgedriftet, der schon gebrechliche Bonnard malt weiter.