

- Veröffentlichung07.11.2024
- RegieStanislav Tiunov
- ProduktionUkraine (2024)
- Dauer118 Minuten
- GenreDrama
- Cast
- IMDb Rating6/10 (905) Stimmen
Vorstellungen
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Filmkritik
Als russische Truppen im April 2022 nach rund einmonatiger Besetzung aus der Stadt Butscha in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew abzogen, wurde ein Massaker sichtbar, das weltweit Entsetzen auslöste. Ukrainische Soldaten und internationale Medien fanden hunderte Leichen von Zivilisten, die offensichtlich von russischen Soldaten ermordet worden waren. Viele der Opfer waren gefoltert worden, zudem viele Frauen vergewaltigt. Die russische Führung bestritt eine Beteiligung ihres Militärs an den Kriegsverbrechen.
Dieses grausame Blutbad liefert den Hintergrund für den ukrainischen Spielfilm „Butscha Unbroken“, der vom Kriegsgeschehen zwischen dem ersten Tag der russischen Invasion am 22. Februar 2022 bis zur Befreiung Butschas am 1. April 2022 erzählt. Der Film stützt sich auf die Erlebnisse einer realen Person. Der jüdische Kasache Konstantin Gudauskas riskierte 2022 sein Leben, als er mehr als 200 ukrainische Zivilisten rettete, indem er sie mit dem Auto aus russisch besetzten Städten wie Butscha, Worsel und Hostomel holte und über die Frontlinie auf sicheres ukrainisches Territorium brachte.
Der kasachische Pass ermöglicht das Passieren der Frontlinie
Der Prolog des Films zeigt, dass Gudauskas im Juni 2019 in Kasachstan in einem Prozess aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde. Über die Anklage erfährt man nichts, dafür aber, dass die Richterin dem Angeklagten dringend die Ausreise ins Ausland empfiehlt. Gudauskas geht in die Ukraine, wo er als Flüchtling anerkannt wird und in Butscha lebt. Später im Film erfährt man, dass er eigentlich aus Litauen stammt und seine jüdische Familie 1941 unter der Stalin-Diktatur aus Kiew nach Kasachstan verschleppt wurde.
Im Film erhält Gudauskas (Cezary Łukaszewicz) kurz nach Kriegsbeginn in Butscha einen Anruf. Eine staatliche Koordinatorin bittet ihn um Hilfe. Er soll in das russisch besetzte Gebiet fahren und mit seinem Tesla die schwangere Frau und drei Kinder eines Agenten herausholen, die in ihrer Wohnung festsitzen. Weil er einen kasachischen Pass hat und Kasachstan als befreundetes Land Russlands gilt, darf er die Frontlinie passieren. Gudauskas lehnt erst ab, übernimmt die gefährliche Mission dann aber doch und bringt sie zu einem guten Ende. Angesichts der Not beschließt er, die Aktion zu wiederholen und weitere bedrohte Zivilisten zu bergen. Die Koordinatorin und ein ukrainischer Grenzsoldat warnen ihn mehrmals, doch der Fluchthelfer lässt sich nicht beirren, selbst als er bei einer Explosion eine Kopfverletzung erleidet. Aber nicht immer ist er erfolgreich, manchmal zwingen ihn russische Wachsoldaten zur Umkehr, manchmal kommt er einfach zu spät und das Haus einer ausreisewilligen Familie wurde von einer Explosion komplett zerstört.
Ein innerlich zerrissener Held
In der komplexen Rolle des Gudauskas liefert der polnische Schauspieler Cezary Lukaszewicz eine sehenswerte Leistung. Er spielt die innere Zerrissenheit des Fluchthelfers, seine Zweifel, seine Furcht, seine Religiosität und seine Schuldgefühle, als er einen treuen jungen Gehilfen verliert, kraftvoll und eindringlich. Leider enthält der Film einen tieferen Blick in die zentrale Motivationslage des Helden vor: Bis zum Schluss bleibt unklar, ob er aus Dankbarkeit, Mitleid oder Nächstenliebe oder vielleicht sogar Abenteuerlust handelt.
Als sein Gegenspieler wird der russische Oberst Nikolai Iwanowitsch Strelnikow aufgebaut, den der ukrainische Mime Wjatscheslaw Dowschenko als eiskalte Killermaschine spielt. Immer wieder richtet diese amoralische Inkarnation des Bösen Ukrainer, aber auch einen eigenen Soldaten mit Kopfschüssen hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Die durchgängige Dämonisierung dieser extremen Machtfigur wird nur an wenigen Stellen aufgelockert, die Strelnikow auch menschliche Gefühlsregungen zugestehen, etwa wenn er einmal vor Kameraden am Klavier eine zarte Ballett-Melodie aus „Schwanensee“ spielt oder Gudauskas in einem seltenen Gnadenakt erlaubt, die Leichen von Ukrainern endlich in Gräbern beizusetzen. Ansonsten bleiben die russischen Soldatenfiguren im Film durchweg auf der Seite des Bösen, die ukrainischen Militärs und Zivilisten auf der Seite des Guten.
Der Film macht kein Hehl daraus, auf wessen Seite er steht
Die heldenhaften Rettungsaktionen Gudauskas’ wecken einerseits Erinnerungen an Fluchthelfer an der Berliner Mauer, die zahlreiche DDR-Bürger bei der Flucht in den Westen unterstützten. Andererseits erinnern sie an die spektakuläre Rettung von rund 1200 Juden durch den deutschen Geschäftsmann Oskar Schindler und seine Frau Emilie in Polen kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges, wobei es in „Butscha Unbroken“ nun ein Jude ist, der Christen rettet.
Die geradlinige Inszenierung macht keinen Hehl daraus, auf wessen Seite sie steht. Zu Beginn liest man den Hinweis: „Dieser Film wurde ermöglicht durch den Mut ukrainischer Soldaten.“ Nach Angaben des Autors und Produzenten Olexander Schtschur sollte der Film dabei helfen, weitere militärische und finanzielle Unterstützung des ukrainischen Volkes im Kampf gegen die Invasoren zu erhalten.
„Wir werden niemals mehr davonlaufen“
Die Filmemacher legen auf der Webseite des Films offen, dass das ukrainische Verteidigungsministerium, der Generalstab der Streitkräfte und andere staatliche Stellen das Projekt und die Dreharbeiten unterstützt haben. Diese fanden teils an Originalschauplätzen in Butscha, Kiew und der Umgebung von Kiew statt. Der patriotische Grundton erwacht aber erst zur vollen Propagandablüte in der Schlusssequenz, in der der Protagonist zu Bildern einer vorbeifahrenden siegreichen ukrainischen Panzerkolonne aus dem Off verkündet: „Wir werden niemals mehr davonlaufen.“
Der ukrainische Regisseur und Produzent Stanislaw Tiunow inszeniert die Heldentaten des Protagonisten als eine Kette aneinandergereihter Episoden, die durch Zeitangaben wie „25. Februar“ markiert sind. Diese szenischen Miniaturen sind mal mehr, mal weniger dramatisch, zu einem größeren Spannungsbogen fügen sie sich nicht.
Auffällig ist, dass der Kameramann Eugenij Kirej die Episoden oft zu Beginn aus der Vogelperspektive filmt, etwa wenn Gudauskas mit dem Auto zur Front fährt oder von dort kommt. Der starre Blick aus der Drohnenkamera gibt zwar einen guten Überblick über die räumlichen Verhältnisse, evoziert aber eine starke Distanz zum Geschehen. Demgegenüber wirken mehrere Einstellungen, in denen die Kamera die Autofahrten gleichsam auf dem Kopf stehend filmt, wie eine überflüssige Spielerei und passen so gar nicht zum Ernst der Lage.