





- Veröffentlichung26.06.2025
- RegieJames Erskine, Rachel Ramsay
- ProduktionVereinigtes Königreich (2023)
- Dauer91 Minuten
- GenreDokumentarfilmHistorie
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
- IMDb Rating7.5/10 (647) Stimmen
Vorstellungen










Filmkritik
Im August 1971 fand im geschichtsträchtigen Azteca-Stadion in Mexiko-Stadt ein Mega-Event statt. Auf den rund 107.000 Zuschauerplätzen versammelten sich frenetisch jubelnde Fans. Lärm, Fahnen, Luftballons, Werbung, Fernsehkameras: Nichts fehlte. Und doch ist das Ereignis in der Geschichtsschreibung nirgends zu finden. Der Grund: Die Spielerinnen auf dem Platz waren allesamt Frauen. Offiziell ist die Copa '71, die erste Frauenfußball-Weltmeisterschaft, nicht existent; nicht mal der Wikipedia-Eintrag „Frauenfußball“ weiß davon. Weitere zwanzig Jahre mussten vergehen, ehe eine Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen durch die FIFA ausgetragen wurde und damit einen amtlichen Anfang fand.
Wie andere Gesellschaftsbereiche ist auch die Geschichte des Sports von Ausschlüssen begleitet. Während in den Künsten schon seit Jahrzehnten Versäumnisse nachgeholt und Narrative korrigiert wurden – „Why Have There Been No Great Women Artists?“ fragte 1971 ein einflussreicher Essay der Kunsthistorikerin Linda Nochlin, auf den Forschungen, Ausstellungen und Neuentdeckungen folgten –, scheint der Sport gegen Revisionen noch immer weitgehend resistent zu sein – was sich unter anderem auch am Umgang mit Non-Binarität zeigt.
Serena Williams spricht aus dem Off
Die Filmemacherinnen Rachel Ramsay und James Erskine setzen mit ihrer leidenschaftlichen Dokumentation im Bereich des Fußballs einen wichtigen Anfang und lassen sich dabei von der überschäumenden Energie des Turniers infizieren. Anders als die experimentelle Aufarbeitung queerer Leichtathletikgeschichte von Julia Fuhr Mann, „Life Is Not a Competition, But I’m Winning“, geht „Copa 71“ ästhetisch konventionelle Wege. Interviews mit damaligen Spielerinnen und Archivmaterial werden klassisch miteinander verwoben, das Voiceover spricht die Tennisspielerin Serena Williams. Die Vergegenwärtigung des aus der Geschichte getilgten Ereignisses und eine dynamische Montage machen die historische Rekonstruktion dabei zu einem überschwänglichen Fest.
Am Anfang steht ein knapper Rückblick auf die Geschichte des Frauenfußballs in England. Er zeigt, dass bereits vor mehr als hundert Jahren männliche Entscheidungsträger daran arbeiteten, Frauen aus der Fußballwelt fernzuhalten. Sie stützten sich dabei auf dubiose Artikel von Ärzten, in denen die Ansicht vertreten wurde, dass der Ballsport die Gesundheit von Frauen gefährde. 1921 wurde in England Vereinen mit Sperrung gedroht, wenn sie Frauen die Nutzung ihrer Einrichtungen erlaubten; die europäischen Vereine folgten dem Beispiel. Erst im Zuge der Frauenbewegung kam Bewegung in die Männerdomäne. Frauen wurde es nun immerhin erlaubt, unabhängige Spiele zu veranstalten.
Die Politik von Ausschluss und Diskriminierung hinterließ auch gesellschaftlich ihren Abdruck. Silvia Zaragoza, die bei der Copa für Mexiko spielte, erinnert sich, wie sie als Kind heimlich auf der Straße kickte und von ihrem Vater dafür mit Schlägen bestraft wurde. Als Ende der 1960er-Jahre erste Frauenfußball-Meisterschaften veranstaltet wurden, mussten sich Spielerinnen auf dem Platz misogyne Beschimpfungen anhören und sich vor Reportern dafür rechtfertigen, warum sie nicht Hockey spielten.
Pretty Girls statt Muskel-Monster
Die Durchführung der Copa '71 verdankte sich auch weniger geschlechteregalitären Motiven als vielmehr kommerziellen Interessen. Die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer im Jahr 1970 war ein enormer medialer Erfolg; erstmals wurde eine WM im Fernsehen in Farbe ausgestrahlt. Die Veranstalter spekulierten auf einen Wiederholungseffekt – und behielten Recht. Während die FIFA sowie die nationalen Fußballverbände gegen die Meisterschaft der Frauen opponierten und der Veranstaltung der offizielle Status aberkannt wurde, fand die Copa in Begleitung einer beachtlichen Medienkampagne statt. Sie zielte vor allem auf eine männliche Zuschauerschaft. Entgegen dem vermeintlichen Bild „muskulöser Monstrositäten“ wurden die Spielerinnen als „Pretty Girls“ in Hotpants vermarktet. Die Erinnerung an die feierliche Eröffnung im Azteca-Stadion und die darauffolgenden Wochen lösen bei den damaligen Spielerinnen Carol Wilson, Nicole Mangas, Elena Schiavo, Ann Stengard, Birte Kjems, Elvira Aracen und Elba Selva noch heute starke Gefühle aus.
Wie ein Krimi zeichnet der Film den Verlauf der Meisterschaft bis zum Finale nach, in dem das Gastgeberland gegen Dänemark verlor; die Copa 71 war das meistbesuchteste Frauensport-Ereignis in der bisherigen Geschichte. Die in Mexiko entfachte Energie wurde danach umso heftiger abgewürgt. Durch Platzverbote, Vereinssperrungen, Ignoranz und Häme fand sich der Frauenfußball erneut an die Ränder gedrängt; viele der Spielerinnen gaben beschämt auf. Allerdings verfolgen Ramsay und Erskine die mediengeschichtliche Spur nicht weiter. Umso mehr stellt sich die Frage, warum die Bilder der Copa 71, die ja im Fernsehen übertragen wurde, erst jetzt auftauchen? Warum hatte sie niemand vorher gesehen, und wie wurden sie überhaupt wiederentdeckt?