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Filmkritik
„Kinder leben in Five Points schlimmer als die Ratten“, lautete die Überschrift eines engagierten Artikels in der „New York Times“ Ende des 19. Jahrhunderts. Der Autor beschrieb darin die katastrophalen Lebensverhältnisse von Einwanderern und Waisenkindern in dem verruchten Slum im Süden Manhattans. Das änderte sich durch eine engagierte Frau: Francesca Cabrini (Cristiana Dell’Anna), eine empathische Nonne aus der Lombardei, die 1889 von Papst Leo XIII. (Giancarlo Giannini) persönlich nach New York City geschickt wird, um ein Haus für italienische Waisenkinder zu errichten.
Als Cabrini und ihre Mitschwestern nach der anstrengenden Überfahrt mit dem Dampfer in Five Points ankommen, müssen sie sogar um ihr Leben fürchten. Doch die Prostituierte Vittoria (Romana Maggiora Vergano) gewährt ihnen während der Nacht Unterschlupf, und am nächsten Morgen macht sich Mutter Cabrini ein Bild von der Lage.
Überleben in der Kanalisation
Dass italienische Kinder in Five Points in schlimmsten Verhältnissen wohnen, macht das Historiendrama von Alejandro Monteverde gleich zu Beginn deutlich. Ein Junge namens Paolo (Federico Ielapi) karrt seine an Typhus erkrankte Mutter vor ein Krankenhaus und fleht das Personal an, die Sterbende zu behandeln. Doch er wird aggressiv abgewiesen, weil er Italienisch spricht. Die Mutter stirbt. Mit Dutzenden anderer Kinder haust Paolo fortan in der buchstäblichen Unterwelt des Five-Points-Viertels – in der Kanalisation.
Den allseits grassierenden Rassismus gegenüber italienischen Einwanderern bekommt auch Mutter Cabrini zu spüren. Fein gekleidete New Yorker Bürger sind sich nicht zu schade, die Ordensschwester auf offener Straße aufs Heftigste zu beleidigen und sie auch körperlich anzugehen. Behörden, Polizei und der Bürgermeister (John Lithgow) sind sich in ihrer aggressiven Verachtung gegenüber den italienischen Einwanderern einig. Auch vom Erzbischof der Stadt (David Morse) erfährt Cabrini zunächst nur wenig Unterstützung.
Eine Frau lässt sich nicht unterkriegen
Doch die couragierte Nonne lässt sich nicht beirren und arbeitet mit großer Hartnäckigkeit an Unterkünften für die Waisenkinder. Dort werden sie beherbergt, eingekleidet, mit Essen versorgt und unterrichtet. Allerdings werfen ihr die Behörden der Stadt immer wieder Knüppel zwischen die Beine – sei es durch vorgeschobene Hygieneinspektionen oder finanziellen Boykott. Auch um die Gesundheit der unermüdlichen Cabrini ist es nicht gut bestellt. Die Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung machen ihr zu schaffen, und ein Arzt gibt ihr höchstens noch drei Jahre zu leben.
Dass die sozial engagierte Ordensschwester dann doch deutlich älter wurde, belegen die Geschichtsbücher. Die Nonne Francesca Cabrini (1850-1917) wurde aufgrund ihres karitativen Wirkens im Jahre 1946 sogar heiliggesprochen. Der Film zeigt ihr Wirken auf und entwirft gleichzeitig das Sittenbild einer unbarmherzigen, rassistischen Stadt New York. Dass die Aggressionen Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber italienischen Einwanderern so unverhohlen wüteten, ist im Kino selten so plastisch aufgezeigt worden. Schon der Vorspann des Films erläutert dies. Das Leben der bettelarmen Migranten, die vornehmlich aus Süditalien in die USA auswanderten, war in den Augen bürgerlicher New Yorker nichts wert. Die Migranten werden mit Tieren verglichen; ein menschenwürdiges Leben gönnte man ihnen nicht.
So erscheint die gütige Schwester wie ein Lichtstrahl in dem vornehmlich in sepiafarbenen Bildern gehaltenen Film. Dass die Figur nicht vollends ins Klischee der Heiligen kippt, verdankt sich dem zurückgenommenen und doch kraftvollen Spiel der charismatischen Hauptdarstellerin Cristiana Dell’Anna. Cabrini wird als Frau nicht ernst genommen – weder in Italien noch in den USA. Man möchte sie am liebsten nicht vorlassen, man wimmelt sie ab oder will sie hinauswerfen – etwa im italienischen Senat. Wenn sie trotzdem mit viel Nachdruck ihre Anliegen beim Papst in Rom, beim Bischof in New York oder bei zahlreichen Behörden vorträgt, wirft man ihr Hochmut und Ehrgeiz vor: Eigenschaften, die als unweiblich gelten. Bei Männern wie dem Papst erzeugt das bestenfalls eine Mischung aus Faszination und Verdruss. Mutter Cabrini gilt als Unruhestifterin, obwohl sie nur für den Schutz von Kindern und Armen kämpft.
Sorgfältig durchkomponierte Bilder
Am auffälligsten an dem historischen Drama ist die Kameragestaltung. Die Bilder sind sorgfältig durchkomponiert und zum Teil aus originellen Winkeln gefilmt. Das sieht schön aus, ist dem Thema aber nicht immer angemessen. So wird bitterste Armut mitunter stark ästhetisiert. Der Film widerspricht damit formal seinem eigentlichen Gedanken, nämlich Armut offenzulegen und anzuprangern. Andererseits gibt die Inszenierung den Ärmsten ein Gesicht und enthüllt die Schönheit der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Und Regisseur Alejandro Monteverde bezeugt seinen Feminismus durch die Aufwertung einer weiteren marginalisierten Figur: der Prostituierten Vittoria (Romana Maggiora Vergano).
Was an der Zeichnung von Francesca Cabrini wahr und was überdramatisiert ist, lässt sich nicht ohne Weiteres benennen. Gesichert ist nur, dass die Nonne gelebt und gewirkt hat, dass sie eine ungemein couragierte Frau war und sich unter widrigen Umständen gegen eine feindlich gesinnte Männerwelt durchgesetzt hat. Ob sie dabei immer nur voller Güte und moralisch unangefochten handelte, sei dahingestellt. Der Film neigt allerdings dazu, Cabrini als Privatperson zu überhöhen. Die Lebensgeschichte einer Frau, die sich entgegen dem herrschenden Zeitgeist für Schwache und Arme engagiert, ist dennoch gut anzuschauen. Ein Darsteller wie John Lithgow ist allerdings überfordert, gegen seine zur Karikatur verkommene Figur des garstigen Bürgermeisters anzuspielen. Andere Mitglieder des zum Teil hochkarätigen Ensembles, darunter Giancarlo Giannini oder David Morse, vermögen ihre eher klischeehaften Charakterzeichnungen durch ihr nuanciertes Spiel hingegen mitunter etwas auszugleichen.