







- RegieRaoul Peck
- ProduktionsländerFrankreich
- Produktionsjahr2024
- Dauer106 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating7.2/10 (276) Stimmen
Vorstellungen










Filmkritik
Ein Mantra hallt durch diesen Film. „I am homesick and I cannot return“. Der Vertriebene ist Ernest Cole. Der 1940 in Pretoria geborene Fotograf wächst in der Apartheid auf, flieht schließlich vor ihr, findet aber nie wieder – weder in den USA noch in Skandinavien – ein Zuhause.
Der Schauspieler Lakeith Stanfield spricht Coles Worte wieder und wieder als Voice-Over, das die Fotografien begleitet, die Regisseur Raoul Peck zu einem Filmporträt montiert hat. Wie „I Am Not Your Negro“ ist „Ernest Cole: Lost and Found“ dabei weniger ein Film, der von einem Künstler erzählt, als vielmehr ein Film, der versucht, dessen Perspektive einzunehmen und die Welt durch eben diese Perspektive zu fassen. Waren es in „I Am Not Your Negro“ die Worte James Baldwins, sind es hier Ernest Coles Bilder, die die Welt befragen. Die Bilder Coles erlangten als Dokumente des Lebens von Schwarzen unter dem südafrikanischen Apartheid-Regime internationale Bekanntheit.
Bilder von universeller Erfahrung
Cole selbst wollte nie als Chronist des Elends gesehen werden. Wer seine Bilder in Raoul Pecks Film sieht, versteht das sofort. Die Bilder, die immer wieder von den Markern der Segregation, von Rassismus und Drangsalierung überschattet sind, sprechen immer auch von einer universelleren Erfahrung. Eines der Bilder, auf dem Pecks Film lange verweilt, zeigt eine Gruppe von Menschen, die sich denselben Raum, dieselbe Öffentlichkeit teilen, zugleich aber sichtbar gefangen sind, in den unterschiedlichen Narrativen ihres Lebens. Ein Junge wird von der Polizei festgenommen, ein zweiter lugt aus dem Bildhintergrund hervor, froh darüber, nicht selbst das Opfer zu sein, einige Frauen bezeugen betroffen die Szenerie. Daneben, die Hände in den Hosentaschen, steht ein Mann; der einzige Weiße im Bild, dessen Privileg es ist, absolut nichts mit dem, was vor seinen Augen passiert, zu tun zu haben; er ist nicht betroffen, nicht beteiligt, nicht berührt.
„Ernest Cole: Lost and Found“ überlässt den Fotografien die Leinwand, braucht nur selten das bewegte Bild oder andere Worte als die des Künstlers, die über Lakeith Stanfields rauchigen, sonoren, aber immer matten und erschöpften Bass zu hören sind. Viel mehr braucht es nicht. Pecks Film findet Coles Leben in seinen Bildern, weiß allein mit der Auswahl und der Zeit, die er ihnen auf der Leinwand gewährt, eine berührende Biographie und ein verstörendes Zeitbild zu bieten. Die schönsten und herzzerreißendsten dieser Bilder zeigen die Apartheid dort, wo sie eine ferne Zukunft vergiftet. Es sind Bilder der schwarzen Kindermädchen. Sie lieben die weißen Kinder, die ihnen anvertraut werden, und für den Moment, den Coles Kamera festhält, lieben auch diese Kinder ihre Nannys. Lachende Augen strahlen die Frauen an, solange bis sie etwas anderes lernen. Dass sie es lernen werden, weiß niemand besser als die Nannys selbst. Die Momente des Glücks sind flüchtig und werden ihnen nie allzu lange gehören.
Das Milieu als Garant der Freiheit oder als Gefängnis
Auch wenn das Leben in Südafrika, das Cole später in „House of Bondage“, einem der bedeutendsten Fotobände des 20. Jahrhunderts, festhielt, den Kern der Erzählung bildet, ist sie immer sichtbar darum bemüht, Coles Werk in eine globale politische Erzählung einzustricken. So wie viele von Coles Bildern selbst, die in ihrer Tiefenschärfe immer auch Milieu und Umfeld abbilden, die das Subjekt prägen, dem Menschen seine Freiheit gewähren oder ihm ein Gefängnis sind. Für Cole selbst wird, als er 1966 nach Amerika flüchtet, in „eine Welt ohne Vorurteile, ohne die wahnsinnige Angst, ohne die endlose Verfolgung und Annullierung jeder Identität“, beides zugleich Teil seines Exil-Daseins. Der Traum von Amerika offenbart sich, besonders in Coles Erfahrung in den Bundesstaaten des tiefen Südens, zur schrecklichen, verstörenden Erfahrung, die anders als die Drangsalierung in der Heimat nie vertraut wird.
Die Bürgerrechtsbewegung kämpft seinen, Coles Kampf, der aber nie wirklich sein Kampf ist. Wie viele seiner Zeitgenossen erträgt Cole das Exil nicht. „I am homesick and I cannot return“. Sein Leben in den USA wird so zur Geschichte eines langsamen Verfalls, den Peck zunehmend in Kontrast zu den dynamischen, lebhaften und mitunter farbigen Fotografien stellt, die Cole im Exil macht. Die schönste und zugleich trockenste Beschreibung stammt erneut von Cole selbst: er habe „Light American Stuff“ und „Heavy American Stuff“ fotografiert.
Cole verliert sich selbst im Exil
In den 1980er-Jahren fotografiert Cole immer weniger. Acht Jahre lang fasst er die Kamera nicht an. Er verliert Finanzierungen, verliert Weggenossen, die sich im Exil das Leben nehmen, verliert sich selbst im Exil. Er wird obdachlos, bleibt heimatlos. Peck spiegelt den tragischen Lebenslauf Coles in der Historie, die das Apartheid-Regime, auch nach dem Aufstand von Soweto, nach einer UN-Vollversammlung an der Macht sieht, während die Staatsoberhäupter Thatcher, Chirac, Reagan und Co. sich weigern, das Regime zu sanktionieren.
Nicht immer gelingt es Peck, die Zeitleiste der politischen Umwälzungen sinnstiftend in seinen Film zu integrieren. Gewissermaßen ist das auch wieder stimmig, denn sie findet eben erst dort auf der Bildebene statt, wo Cole sich zurückzieht, wo er in die Depression abrutscht, immer mehr ein Fremder wird in einer Welt, die er nicht mehr zu fassen kriegt. Er könne den Himmel über New York nicht mehr sehen, heißt es einmal im Voice-Over. 1990, als Cole an Krebs erkrankt, wird das zum bitteren Fazit seines Lebens. Das Ende der Apartheid erlebt er nicht mehr.