









- Veröffentlichung11.09.2025
- RegieMichael Dweck, Gregory Kershaw
- ProduktionArgentinien (2024)
- Dauer85 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
- IMDb Rating7.0/10 (331) Stimmen
Vorstellungen










Filmkritik
In der Schule sitzt Guada mit Hose, weißem Hemd, Halstuch und schwarzer Kappe im Unterricht; die Schuluniform lehnt sie mit unerschütterlicher Überzeugung ab: „Ich bin eine Gaucha und das ist meine Tracht.“ In „Gaucho Gaucho“ ist es eine der wenigen Szenen, in denen der hermetische Mikrokosmos der Gauchos mit dem Außen in Kontakt kommt.
Die Dokumentaristen Michael Dweck und Gregory Kershaw zeigen – oder vielmehr: feiern – in ihrem Film eine Gaucho-Gemeinschaft in der Region Salta im Nordwesten von Argentinien. Während in der Schule die Materie trockene Theorie bleibt, verwandelt sie sich bei den Gauchos in gelebte Erfahrung. Oder sie findet Eingang in eine der zahlreichen abenteuerlichen Geschichten, denen man so gerne lauscht, wie man sie anderen weitererzählt.
Angesichts des drohenden Verlusts der Tradition der Gauchos wird Wissen und Handwerk unermüdlich an die nachfolgende Generation weitergegeben. Ein Vater zeigt seinem Sohn, wie man ein Messer schleift. Ein alter Mann mit langem weißem Bart lehrt ihn die Prinzipien der Gaucho-Identität. Schweigsam ist der Gaucho, sattelfest und geschickt darin, das Lasso zu schwingen. Protz ist ihm fremd. „Ein echter Gaucho ist zufrieden mit dem, was er hat, und gönnt sich, was er will.“ Im lokalen Radiosender moderiert Santino, der auch als Zeitungsverkäufer, Musiker, Sänger und Rodeo-Showmaster tätig ist, ein Programm mit dem Titel „Unsere Wurzeln“.
Mit atemberaubenden Landschaftstableaus
„Gaucho Gaucho“ versteht sich als Dokumentarfilm, sieht aber mehr aus wie ein konzeptueller Western. Die weiten, wüstenartigen Ebenen der Valles Calchaquiés werden in atemberaubende Landschaftstableaus eingefangen. Und wenn die Gauchos mit wehenden Ponchos wie vom Teufel gejagt durch die Pampa galoppieren, scheint der Geist eines John-Ford-Films zu walten. Sobald die Reiter von ihrem Pferd gestiegen sind, kommt die Kamera zu Ruhe. Statische, meist frontale Einstellungen, Symmetrien und dynamisierende Diagonalen durch leichte Untersichten: Alles in „Gaucho Gaucho“ drängt Richtung Ikonizität.
Die US-amerikanischen Regisseure haben für ihre Ästhetik einen eigenen Stilbegriff erfunden: „Beautiscope“, Schönheit kombiniert mit Cinemascope. Michael Dweck kommt vom unbewegten Bild; er fotografiert vorwiegend in Schwarz-weiß. Mit verklärendem Blick hat er unter anderem die Subkultur von Surfern und unter Wasser schwimmende Frauen („Mermaids“) festgehalten und die Kultur der Amateur-Stockcar-Fahrer filmisch dokumentiert. Zusammen mit dem Bildgestalter Gregory Kershaw, der auch in „Gaucho Gaucho“ hinter der Kamera stand, folgte er zudem betagten Männer beim Jagen von Alba-Trüffeln in die Wälder des Piemont.
Die Mischung aus Dokumentation und nostalgischer Überhöhung ist auch „Gaucho Gaucho“ eigen. Die Schwarz-weiß-Bilder betonen die Archaik der Lebensweise und verleihen den markanten, von Wind und Wetter gezeichneten Gesichtern der Gauchos zusätzlich Ausdruck. Geradezu zeichenhaft wirkt das traditionelle Gewand aus Hemd, Wollponcho, weiten Bombacha-Hosen und Boina-Hüten. Schon die Kleinen tragen ein Messer am Ledergürtel. Auch der Mate-Becher mit dem Trinkrohr fehlt auf keinem Tisch.
Eine Gaucha unter lauter Gauchos
„Gaucho Gaucho“ setzt sich aus unverbundenen Sequenzen zusammen; neben der singulären Figur bevorzugen die Regisseure Anordnungen zu zweit oder dritt. Gauchos reiten in Slow Motion zu George Bizets „Perlenfischern“ über die Steppe, zwei Jungen geben Rauchzeichen mit einem brennenden Kaktus, ein demütiges Gebet an „Mutter Erde“ und die Bitte um Regen, das Pflügen eines Ackers. Zudem gibt es sichtbar nachinszenierte Gesprächssituationen in wechselnden Figurenkonstellationen.
Die Männer sind allesamt charismatische Typen und wirken wie romantische Figuren aus der Folklore. Etwas realitätsnäher ist die siebzehnjährige Guada gezeichnet, die sich als einzige Gaucha in einer Männerdomäne behauptet. Der Film begleitet die furchtlose, in sich ruhende Frau beim Zähmen eines Pferds und auf ihrem steinigen Weg zur Rodeo-Reiterin. Auch ein Beinbruch und andere Blessuren können sie nicht aufhalten.
Die Beschwörung des Mythos
Gefahren lauern in Gestalt von Andenkondoren, die mit ihrer eindrucksvollen Flügelspannbreite über der Herde kreisen; die harten Dürren der Vergangenheit sind ebenfalls noch in lebendiger Erinnerung. Die größte Bedrohung aber liegt im Aussterben der eigenen Kultur. Viele Menschen ziehen weg; Familien werden zerstreut, heißt es in Gesprächen am Rande. Der Film aber zeigt keine Bruchlinien. Die Welt der Gauchos bleibt unbeschädigt. In der Logik von „Gaucho Gaucho“ bedeutet Konservieren allerdings mehr als Bewahren: es dient der Beschwörung des Mythos.