





- Veröffentlichung01.01.2025
- RegieChana Gazit, Jeff Bieber
- ProduktionDeutschland (2025)
- Dauer86 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen










Filmkritik
Manchen gilt Hannah Arendt als die „Denkerin der Stunde“. In dieser Lesweise zeugen ihre Texte von einer „unheimlichen zeitgenössischen Relevanz“, wenn man Themen wie Antisemitismus, Staatenlosigkeit oder Totalitarismus bedenkt. Der berühmte Satz von der „Banalität des Bösen“ wird gerne zitiert, aber nicht unbedingt im Sinne der Autorin. Ein Effekt dieser Aktualität besteht darin, dass sich einzelne Titel ihrer Schriften wie etwa „Vita activa oder Vom tätigen Leben“, „Eichmann in Jerusalem“ oder „Über das Böse“ inzwischen auch im Sortiment normaler Buchhandlungen finden lassen.
Auf den Film „Hannah Arendt: Facing Tyranny“ von Jeff Bieber und Chana Gazit durfte man also durchaus gespannt sein, zumal sich die zweite Amtszeit von Donald Trump und die Entwicklung in Gaza innerhalb des engeren Themenspektrums von Hannah Arendt bewegen. In dem Podcast „The Road to Now“ hatte Bieber Hannah Arendt überdies direkt mit der Gegenwart ins Gespräch gebracht. Kann Hitler nach der Schmach von Versailles einst tatsächlich mit dem Slogan „Make Germany Great Again!“ in den Wahlkampf gezogen sein?
Wie im Schulfernsehen
Hannah Arendt (1906-1975) gilt als streitbare Intellektuelle, die an zentralen Kämpfen des 20. Jahrhunderts Anteil hatte. Andererseits provozierte sie aufgrund ihres Temperaments immer wieder mit kontrovers diskutierten Publikationen. Der Film macht aus dem gefährlichen Denken von Arendt aber nicht viel mehr als einen illustrierten Wikipedia-Artikel mit Laufbildern aus den Archiven, unterfüttert mit One-Linern von Expert:innen und verziert mit der Stimme von Nina Hoss. Wie im Schulfernsehen älteren Datums werden die Stationen ihrer Biografie mit geschichtlichen Ereignissen verknüpft, was zwar legitim ist, jedoch zu Trivialisierungen neigt. Etwas dergestalt, dass just, als Arendt 1924 in Marburg ein Studium der Philosophie, der Evangelischen Theologie und der Gräzistik aufnahm, weiter südlich der Aufstieg Adolf Hitlers begann.
Weitere Stationen, die abgehakt werden müssen: die Affäre mit Martin Heidegger, die Promotion über den Liebesbegriff bei Augustinus, ihre Arbeit als Journalistin in Berlin. Die Beschäftigung mit Rahel Varnhagen von Ense und der Judenfrage, die Machtübernahme der NSDAP und das Versagen opportunistischer Intellektueller wie Heidegger und Benno von Wiese. Das Exil in Frankreich, ihr Engagement in zionistischen Organisationen, die jüdischen Jugendlichen die Flucht nach Palästina ermöglichten, die Inhaftierung in einem südfranzösischen Internierungslager, Immigration in die USA, Staatenlosigkeit, der Israel-Palästina-Komplex, der Eichmann-Prozess und die Kritik an der Rolle der Judenräte. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA, Vietnamkrieg und schließlich die „Watergate“-Affäre sowie der Rücktritt Nixons.
Nun ist der Versuch, eine solche Biografie nebst einer Vielzahl an Begegnungen mit mehr oder weniger prominenten Zeitgenossen und den Zeitströmungen in Politik, Philosophie und Kulturgeschichte filmisch auf etwas weniger als 90 Minuten unterzubringen, an sich ein recht ambitioniertes Unterfangen. Aber dann soll es ja auch noch darum gehen, Arendts „gefährliches Denken“ auf aktuelles Geschehen zu beziehen. Das gelangt dann auch nicht über zwei Fußnoten hinaus, wenn es etwa heißt, dass die Gefährdung der US-amerikanischen Demokratie von der Exekutive ausgehe, was aktuell gut zu beobachten ist.
Der „Flow“ der Montage
Was den Film, abgesehen von der etwas überfrachteten Tonspur mit einer Vielzahl kurzer Off-Kommentare, wirklich beschädigt, ist das Beharren auf einem „Flow“ in der Montage. Hier wechseln sich stimmige Dokumente aus dem Archiv mit wahllos aus unterschiedlichsten Kontexten herausgerissenem Material ab. Das kann völlig abstrakt ausfallen, wenn der Antisemitismus in Frankreich nach 1933 mit zwei Besucherinnen eines Pariser Cafés illustriert wird. Unangenehmer wird es, wenn Ausschnitte aus Filmen wie „Kuhle Wampe“ mit Ausschnitten aus Filmen von Leni Riefenstahl verschnitten werden. Oder wenn die Auswahl der Bilder chronologisch nicht eindeutig situiert ist, sondern gänzlich unhistorisch als Illustration dient, oder plötzlich Bilder aus „Der ewige Jude“ unkommentiert in den Bilderfluss montiert werden. Wie unproduktiv dieses Vorgehen ist, weil es kaum zusätzliche Informationen liefert, wird besonders deutlich, wenn längere Ausschnitte aus dem Gespräch zwischen Hannah Arendt und Günter Gaus aus dem Jahre 1964 ungleich mehr Intensität entfalten.
„Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“ kann als erste Begegnung mit dieser schillernden Figur der Zeitgeschichte als Einführung dienen. Zugleich muss der Film aber sehr kritisch auf seinen suggestiven Diskurs hin befragt werden, der das „streitbare und gefährliche Denken“ in einen auf ungute Weise marktkonformen „Flow“ überführt, der irritierend gefällig wird.