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Filmkritik
Laura (Paula Beer) lässt überall ihre Taschen stehen. Im Haus von Betty (Barbara Auer) ist alles kaputt. Der Wasserhahn tropft, die Spülmaschine läuft nicht, das Fahrrad hat eine gebrochene Stange, das Klavier ist verstimmt. Eine Serie von Verlusten und Reparaturfällen zieht sich gleichsam als metaphorische Spur durch „Miroirs No. 3“ von Christian Petzold.
Schon am Anfang steht ein Autounfall im Umland von Berlin. Er schleudert die Klavierstudentin Laura mehr oder weniger direkt vor Bettys Haustür.
Vor dem Crash gab es zwischen den beiden Frauen eine komplizenhafte Begegnung von Blicken. Wäre „Miroirs No. 3“ ein Horrorfilm, würde man der Frau am Gartenzaun wohl dämonische Absichten zuschreiben. In einem Film von Christian Petzold aber folgen Momente wie diese einer anderen Logik der Wirklichkeitsverschiebung: Ihr Bezugsrahmen ist die Gespenstergeschichte und das Märchen. So wundert man sich nicht, als die alleinlebende Betty die fremde, wie durch ein Wunder unverletzte Frau bei sich zu Hause aufnimmt und bemuttert. Und auch nicht, dass Laura, die vor dem Unfall verbindungslos und wie erloschen durch die Welt ging, den dringlichen Wunsch hat, dort zu bleiben.
Wie in einem Märchen
Für den Mann am Steuer endete der Unfall tödlich. Wie alle anderen Männer, mit denen die Frauenfiguren in Petzolds Filmen zunächst zusammen sind, bevor sie das Drehbuch abschüttelt, ist der Freund unsympathisch gezeichnet. Ob sie nicht total traurig sei, fragt Bettys Sohn Max (Enno Trebs) Laura einmal. „Eigentlich nicht.“ Laura beginnt im Gegenteil sogar aufzuleben. Sie tut dies aber in einem Leben, das andere für sie eingerichtet haben. Als eine Art Wieder- und Doppelgängerin, als Surrogat-Tochter.
Laura bekommt neue Kleidung, und wenn sie morgens aufwacht, steht schon der Kaffee im Thermobecher neben dem Bett. Die Rolle der aufgesammelten Patientin hat sie schnell abgelegt. Sie richtet sich ein, hilft Betty beim Streichen des Gartenzauns, gräbt ein bisschen im Kräuterbeet und kocht Königsberger Klopse. Beim Essen mit Bettys Mann Richard (Matthias Brandt) und Sohn Max, die in der Nähe leben und eine Autowerkstatt betreiben, herrscht zunächst betretene Stille. Sie haben offensichtlich nicht damit gerechnet, dass an der Stelle einer gespenstischen Abwesenheit nun ein leibhaftiger Mensch sitzt. Womit der Film bei den titelgebenden Spiegelbildern angekommen ist, die einem bekannten Musikstück von Maurice Ravel entliehen sind.
„Miroirs No. 3“ ist ein fast schon verblüffend überschaubarer Film. Zwei Schauplätze, Haus und Werkstatt, und als Passagen die Wege dazwischen. Vier Personen, die beschädigt sind und zu sich finden. Die Männer machen sich auch gleich ans Reparieren. Die Frauen backen Pflaumenkuchen mit mürbem Teig. Als Laura auf dem neu gestimmten Klavier vorspielt, strömt ihrer Wahlfamilie das Wasser in die Augen. Irgendwann explodiert die Spülmaschine. Und nach der Spülmaschine entlädt sich Max. Was er Laura an den Kopf wirft, weiß man bereits, als zum ersten Mal der Name der Tochter fällt. Der Film stellt ihren Verlust dennoch als vermeintliches Geheimnis in den Raum, begleitet von bedeutungsvollen Blicken, Anspielungen und Nachbarn, die penetrant auf die Veranda starren. Das, was stille Übereinkunft ist und deshalb nicht ausgesprochen wird, muss doch ständig artikuliert werden. So, als würde der Film seiner inneren Logik nicht ganz vertrauen.
Alles ist möglich
Als Heilungsgeschichte wirkt „Miroirs No. 3“ wie frisch gelüftet. Der Spätsommer spielt mit, und auch Petzold verzichtet dieses Mal auf den sonst oft etwas angestrengt wirkenden konzeptuellen Überbau – Mythen, Klimakrise und so weiter. Das Gebaute daran bricht allerdings auch umso stärker hervor. Einmal aber gibt es einen Moment, in dem alles offen scheint. Auf dem Hof vor der Werkstatt sitzen Max und Laura bei einem Bier zusammen und hören „The Night“ von Frankie Valli & The Four Seasons. Sie schauen sich dabei an und lächeln sich zu; sie schauen aneinander vorbei und lächeln in sich hinein, irgendwann lachen sie los und plötzlich scheint alles möglich zu sein: geschwisterliche Nähe, Vertrautheit, Verlegenheit und Flirt, eine Unterbrechung des Spiels und ein Herausfallen aus dem Erzählrahmen. Das ist ziemlich hinreißend. Danach wird eine Weile erst mal keine Musik mehr gespielt.