
- Veröffentlichung11.09.2025
- RegieHendrik Löbbert
- ProduktionVereinigte Staaten (2025)
- Dauer91 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen









Filmkritik
Wenn sich die heißen Santa-Ana-Winde spät im Jahr über Südkalifornien legen, wirken sie wie ein Brandbeschleuniger für die ausgedörrte Landschaft und die schwelenden zwischenmenschlichen Konflikte, heißt es in einer US-amerikanischen Fernsehdokumentation. Gewalttaten nähmen zu, die Suizidrate steige. „Santana“, Teufelswinde werden sie von Indigenen genannt. Ein unvermittelter Schnitt in die Gegenwart kontrastiert das körnige TV-Material mit Filmaufnahmen einer älteren Frau, die in einer vergilbten Ausgabe des „Life“-Magazins blättert; dort ist ein schweres Feuer in Los Angeles dokumentiert. Ausdrucksstarke Schwarz-weiß-Fotos zeigen ein junges Mädchen, dass sich verzweifelt an sein Stofftier klammert, während hinter ihm das Wohnhaus seiner Familie in Flammen aufgeht.
Trügerische Erinnerungen
Die persönliche Erinnerung an dieses Trauma sei von der medialen Berichterstattung über das Ereignis nicht mehr zu trennen, gibt die rund 80-jährige Betrachterin zu bedenken. Ästhetisch überhöhte Fotografien ihrer selbst haben die eigene Erfahrung des Brandes überschrieben, fährt Elizabeth Loftus fort; die kulturellen Mythen über die tödlichen Winde sind affektiv getönt. Loftus gilt heute als eine der wichtigsten Psychologinnen auf dem Gebiet der empirischen Erinnerungsforschung und hat als Sachverständige in über vierhundert Gerichtsprozessen ihre Expertise präsentiert. Meistens ging es darin um schwere Verbrechen wie sexuellen Missbrauch und Mord, bei denen die Aussagen von Augenzeugen und das Urteil der Geschworenen besonders wichtig sind. Für Aufsehen sorgte, dass Loftus stets im Auftrag der Strafverteidigung auftrat, darunter auch bei medialen Großereignissen wie den Prozessen gegen Harvey Weinstein, Ghislaine Maxwell oder Michael Jackson.
Der Dokumentarfilmer Hendrik Löbbert wählt einen persönlichen Zugang zu der Wissenschaftlerin und lässt sie in ihrem Haus die wichtigsten Stationen ihres Lebens schildern. Dort befinden sich auch Schränke voller Gerichtsakten, die sie ebenso heranzieht wie ihre minutiös geführten privaten Tagebücher. Schnell wird klar, dass dokumentierte Fakten für Loftus beruflich wie privat die wichtigste Grundlage ihrer Ausführungen bilden. Als studierte Mathematikerin interessierte sie sich für logische Schlussfolgerungen und entdeckte schon an der Universität ihre Faszination für die empirische Psychologie, die sie bald zu existenziellen Fragen führte.
Verhaltens- und neurowissenschaftliche Experimente im Labor werfen zunehmend ein neues Licht auf die Komplexität des menschlichen Gedächtnisses und lassen die unmittelbare Wahrheit subjektiver Erinnerungen fragwürdig erscheinen. Äußere Stressfaktoren, aber auch suggestive Einflüsse, so schildert Loftus das anhand von Studien, können Gedächtnisinhalte stark beeinflussen und sogar verzerren.
Im Zweifel für den Angeklagten
Die psychologischen Forschungsergebnisse haben auch Folgen für die Rolle von Augenzeugen und ihren Status bei juristischen Prozessen. Als wichtige Sachverständige trat Loftus schon in jungen Jahren vor Gericht auf und spezialisiert sich auf Forensik. Archivaufnahmen zeigen eine selbstbewusste Frau, die ihre Thesen gegenüber der Anklage ruhig und klug erklärt. Immer wieder ist sie Anfeindungen ausgesetzt; man unterstellt ihr, eine „Paid Weapon“ der Verteidigung zu sein. Ihr scheinbares Engagement für Täter sorgte für Irritationen, auch unter Kollegen.
„Memory Wars“ gibt Loftus filmisch den Raum, nicht nur die eigene Forschung, sondern auch ihre persönliche Motivation zu erläutern. Vor allem die Aufklärung der Geschworenen über die Funktionsweisen des Gedächtnisses ist ihr ein zentrales Anliegen, um einen Beitrag zu einer gerechten und ausgewogenen Urteilsbildung leisten zu können. Angesichts einer zunehmend überreizten und sensationalistischen Medienlandschaft in den USA wird ihr Werdegang und ein Beharren auf der rechtsstaatlich verankerten Unschuldsvermutung nachvollziehbar. Aber es gibt für die Psychologin auch einen sehr persönlichen Grund, Spekulationen und subjektive Haltungen kritisch auseinanderzunehmen: ihre eigene Mutter verstarb noch in ihrer Jugend unter Umständen, die einen Suizid nahelegen, jedoch nie abschließend geklärt werden konnten.
An dieser Stelle begibt sich die Dokumentation in fragwürdige Gewässer, wenn Löbbert die Protagonistin vor der Kamera ausgiebig über ihre tote Mutter weinen lässt. Als sie ihren Bruder anruft, um die Umstände mit erstickter Stimme noch einmal für den Film zu reproduzieren, wirken die Szenen beinahe manipulativ.
Mediale Manipulationen
Der zentrale Punkt von „Memory Wars“ aber ist ja gerade die Kritik medialer und therapeutischer Suggestionskraft. Löbbert erinnert an den Höhepunkt von Loftus’ Karriere während der sogenannten „Satanic Panic“ in den 1980er-Jahren, bei der sich die Wissenschaftlerin gegen die „Recovered-Memory Therapy“ engagierte. In dieser Zeit kamen immer wieder Fälle vor Gericht, in denen vormalige Patienten sich durch fragwürdige therapeutische Methoden an rituellen Missbrauch durch satanische Kulte zu erinnern glaubten, obwohl keine Beweise ermittelt werden konnten. Dies motivierte Loftus, empirische Studien zu diesem Phänomen durchzuführen, die zeigten, dass sich Menschen durch subtile sprachliche Suggestionen lebhaft an Ereignisse erinnern können, die in Wirklichkeit nie stattgefunden haben.
„Memory Wars“ eröffnet damit ein Problemfeld, dass in Zeiten der #metoo-Bewegung mehr denn je umkämpft ist. Rechtsstaatliche Erfordernisse der Beweisführung geraten oft mit den seelischen Nachwirkungen sexueller Traumatisierung in Konflikt, die ihre eigene Zeitlichkeit haben und mitunter von jahrzehntelanger Scham geprägt sind. Den Unwägbarkeiten dieser Debatte wird der Film durch seinen personalisierten Zugang jedoch nur bedingt gerecht. Auch die Gerichtsprozesse, allen voran gegen Harvey Weinstein, kommen im Film viel zu kurz und bleiben bloße Referenzpunkte einer individuellen Karriere, anstatt diese auf gesellschaftliche Fragen auszuweiten.
Eine kämpferische Frau
Gelungen ist „Memory Wars“ hingegen als Porträt einer kämpferischen Frau, deren Pioniergeist in einer noch immer männlich dominierten Wissenschaftsdisziplin nachhaltig beeindruckt und damit zumindest implizit eine unbequeme feministische Perspektive einnimmt.