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Filmplakat von Stolz & Eigensinn

Stolz & Eigensinn

113 min | Dokumentarfilm
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Szenebild von Stolz & Eigensinn 1
Szenebild von Stolz & Eigensinn 2
Szenebild von Stolz & Eigensinn 3
Deutschland unmittelbar nach der Wende. Die zweite große Entlassungswelle hat den Osten erreicht. Frauen aus den ehemaligen Industrie-Großbetrieben der DDR erzählen mit heute überraschender Selbstverständlichkeit über sich und die persönlich erlangte Unabhängigkeit durch ihre Arbeit. Selbstbewusst und emanzipiert teilen sie ihr Erstaunen darüber, dass plötzlich nur noch Männer ihre Arbeiten machen sollen. Sie erzählen auch von den einstigen Utopien, die es heute nicht mehr gibt. Zudem sehen wir Aufnahmen aus ihrem Arbeitsalltag in längst verschwundenen Industriegebäuden und Braunkohle-Zechen. Auf alten U-matic-Bändern aus den Beständen des ehemaligen Leipziger Piratensenders KANAL X sind die Interviews erhalten.
Über 30 Jahre später hat Gerd Kroske („SPK Komplex“, „Striche ziehen“) diesen filmischen Schatz aus dem Archiv geborgen und die Arbeiter:innen von damals wiedergefunden. Einer Versuchsanordnung gleich, wird das alte Material im Split-Screen von den Frauen neu kommentiert und hinterfragt. „Stolz und Eigensinn“ ist eine mediale Einkreisung, die eine Lücke schließt und Frauen porträtiert, die sich ihren Stolz und Eigensinn bis heute bewahrt haben. Was wurde einst gewonnen? Was ist verloren? Was ist geschehen?
  • Veröffentlichung18.02.2025
  • RegieGerd Kroske
  • ProduktionDeutschland (2025)
  • Dauer113 Minuten
  • GenreDokumentarfilm

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Filmkritik

Diese Bilder sollte es gar nicht geben. Ihre Existenz verdanken sie einzig der historischen Umbruchphase, in der sie entstanden sind; beziehungsweise der Tatsache, dass gleich zwei deutsche Staaten vorübergehend zu sehr mit sich selbst, beziehungsweise mit anderen Problemen beschäftigt waren, als dass sie den Wildwuchs der Bilder, der der „Kanal X“ war, sofort hätten einhegen können.

Die Gesetzgeber der DDR konnten sich nicht einmal vorstellen, dass es so etwas wie einen Piraten-Fernsehsender überhaupt geben könnte. In den Gesetzbüchern stand darüber nichts, heißt es in Gerd Kroskes „Stolz & Eigensinn“ an einer Stelle, das wurde behandelt wie Parkvergehen. Im März 1990, direkt vor den freien Volkskammerwahlen, nahm der „Kanal X“ den Sendebetrieb auf. Nach der Wiedervereinigung im Herbst des Jahres lief er noch ein halbes Jahr weiter, ehe die Bundesrepublikanischen Behörden dem Sender die Lizenz verweigerten.

Arbeiterinnen in Schwerindustriebetrieben

Dennoch produzierte das in Leipzig ansässige Team noch bis 1994 weiter, für wechselnde Auftraggeber. Eben im Jahr 1994 entstanden die Bilder, die Gerd Kroske nun zum Ausgangspunkt seines eigenen Films nimmt: Interviews mit Arbeiterinnen, die in Schwerindustriebetrieben der DDR angestellt waren; Frauen, die vor der Wende in „klassischen Männerberufen“ tätig waren, es 1994 mehrheitlich immer noch sind und auch in Zukunft sein wollen. Nur dass die kapitalistisch wirtschaftenden Firmen, die jetzt am Ruder sind, von Frauen im Bergbau und ähnlichen Berufsfeldern nichts wissen wollen.

Dass in der Nachwendezeit im Osten Deutschlands zahllose Arbeitsbiografien in die Brüche gingen; dass die ehemaligen DDR-Staatsbetriebe oftmals ohne jede Rücksicht auf die übernommene Belegschaft mal – begleitet von Personalabbau – saniert, mal abgewickelt wurden; dass die versprochenen „blühenden Landschaften“ oft genug lediglich auf brachliegenden Industrieanlagen Realität wurden; all das ist zwar bekannt, aber noch längst nicht hinreichend aufgearbeitet.

Kroskes Film verweist auf einen besonders bitteren Aspekt der Nachwendegeschichte: Mit den Arbeitsplätzen der DDR-Arbeiterinnen verschwand auch die Idee einer egalitären Geschlechterpolitik am Arbeitsplatz. Die in der DDR, wie in Kroskes Film ebenfalls zu erfahren, zwar keineswegs perfekt realisiert, aber doch ein gutes Stück mehr gelebter Alltag war als in der Schwerindustrie des Westens.

Links 2024, rechts 1994, oder umgekehrt

Kroskes Film konfrontiert nun die historischen „Kanal X“-Aufnahmen mit der Gegenwart. Der Regisseur hat einige der damals interviewten Frauen ausfindig gemacht und führt ihnen die Aufnahmen aus dem Jahr 1994 vor. Aufgelöst ist das, ganz simpel, via Splitscreen. Mal ist links eine Frau im Jahr 2024 zu sehen und rechts dieselbe Frau im Jahr 1994, mal umgekehrt. Manchmal reden die beiden Frauen, die dieselbe sind, sogar gleichzeitig. Die Protagonistinnen schauen und sprechen sich sozusagen selbst an. Und erkennen alles wieder. „Das war der Südteil vom Werk.“, „Da oben war die Schaltzentrale.“ und so weiter. Die 30 Jahre alten U-Matic-Bänder, niedrig auflösend und voller analoger Artefakte, triggern am laufenden Band Erinnerungen an die Handgriffe, auch an die gefühlte Autonomie von damals.

Stolz sind die Frauen, die in Kroskes Film auftreten, allesamt auf die Arbeit, die sie damals verrichtet hatten. Gleichwohl ist jeder Blick zurück anders. „Ein Scheißleben“, resümiert eine Frau, die ohne Eltern aufwuchs und später von ihrem Mann herumgescheucht wurde; das ist durchaus so kategorisch gemeint, wie es sich anhört. Eine andere macht hingegen klar, dass sie nicht nur im Beruf, sondern auch in der Ehe stets das Heft des Handelns in der Hand behalten hatte. „Mein Mann war ein Stiller, der hat gemacht, was ich ihm gesagt habe“, meint sie. Einer dritten wiederum leuchten noch heute die Augen, wenn sie an die Schuhe denkt, an deren Produktion sie früher beteiligt war. Nach wie vor kann sie nicht genug bekommen von Schuhen. Dutzende nebeneinander aufgereihte Damenschuhe präsentiert sie der Kamera in ihrer Wohnung. Fast wie damals in der Fabrik.

Ansteckende Lebendigkeit

Die auf ihr Leben zurückblickenden Frauen verleihen dem Film eine ansteckende Lebendigkeit. Eher nebenbei wird immer wieder erwähnt, dass viele der Arbeiterinnen die Nachwendejahre deutlich schlechter verkraftet haben als Kroskes im Großen und Ganzen agil gebliebene und auch keineswegs durchweg verbitterte Protagonistinnen. Auch die ökologischen und medizinischen Spätfolgen der in besonders rabiater Manier Raubbau an der Natur und dem Menschen betreibenden DDR-Industrie finden zwar Erwähnung, werden jedoch von der – selbstverständlich individuell komplett gerechtfertigten – Arbeiterinnennostalgie etwas zu sehr an den Rand gedrängt.

Nachhaltig in Erinnerung bleiben von diesem schönen Film am Ende womöglich doch weniger die Reminiszenzen in der Gegenwart als die „Kanal X“-Aufnahmen: Bilder aus einer Zeit, in der in Deutschland neben vielem anderen auch das Verhältnis von Geschlecht und Arbeit neu austariert wurde. Oft genug, leider, über die Köpfe der Betroffenen hinweg.

Veröffentlicht auf filmdienst.deStolz & EigensinnVon: Lukas Foerster (20.5.2025)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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